Hier kommt das Vögelchen

Wie ein blecherner Piepmatz im Fotostudio landete und über viele Jahrzehnte Zwitschernd die Aufmerksamkeit der Portraitierten bekam.
Ein antiker Blechspielzeugvogel aus Messing und passende Kartonverpackung

Angesichts der langen Belichtungszeiten von manchmal mehr als 60 Sekunden in der Frühzeit der Fotografie, blieb es zunächst eine große Herausforderung, manchen Zappelphilipp scharf abzubilden. Die Fotografen mussten einen Weg finden, um die Aufmerksamkeit der Kinder zu fesseln. Bereits um 1850 sprachen sie vor der Aufnahme im Studio den Satz „Schau, hier kommt das Vögelchen“. Ihre Kameras sahen damals tatsächlich noch wie große Nistkästen aus. In den 1870ern benutzten Fotostudios gerne echte Kanarienvögel, die die Bildermacher samt Käfig auf ihre Kameras stellten. Eine ähnliche Idee hatte ein englischer Fotograf, der sich eine Schwarzwälder Kuckucksuhr ohne Zifferblatt bauen ließ. Mit einem kleinen Hebel auf der Rückseite der Uhr brachte er seinen Kuckuck zum Pfeifen. Vermutlich war das Gerät, das heute im Uhrenmuseum von Tabley in der englischen Grafschaft Cheshire steht, ein Einzelexemplar.

Eine Kuckucksuhr ohne Zifferblatt aus dem Museum in Tabley

Ein Problem blieb allerdings auch bei dieser frühen Lösung: Die Kinder waren nun zwar aufmerksam, blickten jedoch an der Kamera vorbei. Doch der nächste Studiovogel befand sich quasi schon „im Anflug“: Der amerikanische Erfinder Jerome B. Secor präsentierte 1873 auf der Wiener Weltausstellung einen zwitschernden Spielautomaten. Im Jahre 1880 meldete er ein Patent für seinen Spielzeug-Singvogel an: Ein Blech-Piepmatz, der über einen Luftschlauch mit angrenzendem Wassertank zum Blubbern gebracht wurde. Mit den Bewegungen seiner Zunge konnte sein Besitzer den Rhythmus variieren. Der eigentliche Ton wurde wie bei einer Blockflöte durch einen Luftschlitz gebildet. Gleichzeitig konnte dieses Vögelchen den Schwanz und den Schnabel bewegen. Dieses Spielzeug ließ innovative Fotografen aufhorchen. 

Ab 1884 war das Vögelchen im amerikanischen Fotoversandhandel für 75 Cents erhältlich. Beworben wurde es als “der bislang beste Baby-Charmeur“. Das Zwitschervögelchen ließ sich wunderbar hinter den Atelierkameras jener Tage verstecken und die Kinder blickten fortan erwartungsvoll in die Kamera. In den 1920er Jahren griff der New Yorker Spielzeugproduzent Oscar Schwarzkopf Secors Idee auf. Er vereinfachte dessen Konstruktion und bekam am 13. Februar 1923 das Patent für seinen modernisierten “American Victory Canary Songster“.

Der Blechvogel wurde in großer Stückzahl bis in die 1940er-Jahre produziert. Die Verbreitung von Kunstlicht und die kurzen Belichtungszeiten neuer Kameras erleichterten schließlich das Fotografieren und machten den Kanarienvogel überflüssig. Die Redewendung „Hier kommt das Vögelchen“ ist Jedoch in der Umgangssprache geblieben. Wer dieser Tage einen der alten Vögel auf dem internationalen Antiquitätenmarkt erwerben möchte, muss mit einem Ankaufpreis um 250 Euro rechnen.

Ursprünglich erschienen in fotoMAGAZIN Ausgabe 4/2019