Bitte recht Ernst: Der Posing-Guide für’s 1900 Jahrhundert

Hochverehrte Kundschaft

Wir möchten Sie höflichst darauf hinweisen die folgenden Ausführungen gefliessentlich durchzulesen.

Unser geschätzter Kollege William Notman aus der fernen britischen Provinz Kanada läßt seiner Kundschaft um 1867 folgende Mitteilung zukommen, die wir Ihnen hier mit seiner wohlwollenden Erlaubnis zugänglich machen dürfen.

William Notman (*1826) kam 1856 aus Schottland nach Kanada und etablierte sich schnell als Montreals prominentester Fotograf, wobei Studioporträts den Schwerpunkt seiner Arbeit bildeten. Er war der erste kanadische Fotograf, der sich einen internationalen Ruf erwarb. Notman verstarb 1891 nach einer kurzen Krankheit.

Photography: Things You Ought to Know von William Notman, nach 1867, Tinte und Hochdruck, 9,3 x 6,4 cm, McCord Museum. Als geschickter Vermarkter und Selbstdarsteller sorgte Notman dafür, dass alle Materialien, die aus seinem Studio kamen, darauf hinwiesen, dass er "Photographer to the Queen" war.

Der Notman ‚Posing Guide‘ adaptiert für Menschen des 21. Jahrhunderts

Vermeiden Sie es, wenn möglich, in Eile zu sein, wenn Sie zu einer Porträtaufnahme gehen. Vereinbaren Sie, wenn möglich, einen Termin, da dies Verwirrung und Zeitverluste verhindert.

BEKLEIDUNG

Die besten Materialien, und die, die am reichsten aussehen, sind Seide, Satin, Rips und Winceys [Beiderwand]. Die geeignetsten Farben sind Schwarz und die verschiedenen Schattierungen von Grün, Braun, Grau oder Schiefer, sofern sie nicht zu hell sind. Zu vermeiden sind vor allem Weiß, Blau, Mauve und blasses Rosa. Dunkle Karos und Plaids fallen sehr deutlich auf, manchmal zu sehr, da sie einen zu prominenten Gegenstand im Bild bilden. Spitzenschals, Opernmäntel, Schals etc. helfen sehr bei der Sicherung anmutiger Linien. Vermeiden Sie undurchsichtige weiße Tücher, wie z.B. Porzellankrepp, und vermeiden Sie es auch, das Haar in einem für die Person ungewöhnlichen Stil zu frisieren oder eine ungewohnte Art von Kopfbedeckung zu tragen. Die oben genannten Vorsichtsmaßnahmen gelten für einfache Fotografien aber auch in Uniformen, Kostümen und Abendkleidung.

ATTITÜDE UND AUSDRUCK

Das Einzige, was der Porträtierte lernen muss, ist, sich selbst zu vergessen. Wenn er völlig frei von Selbstbewusstsein sein kann, wird er ein natürliches und durchdachtes Bild erhalten. Der Künstler, der ein geschultes Auge und große Erfahrung hat, kann die anmutigste Pose am besten bestimmen, und da sein eigener Ruf auf dem Spiel steht, kann man ihm dies getrost überlassen. Die Natur kann vom Künstler nicht verändert werden, aber sie kann durch eine vernünftige und glückliche Anordnung unterstützt werden. Wenn Sie in den Operationsraum kommen und nicht gut gelaunt sind, wird das wahrscheinlich auf dem Foto zu sehen sein. Wenn Sie in Eile oder Hektik sind, werden Sie erhitzt und Ihr Gesicht kann rot sein. Eine stark gefärbte Miene, so die Erfahrung des Operateurs ist ungünstig für seinen Zweck. Die vorübergehende Verwendung von Puder für ein errötetes Gesicht oder kosmetische Mittel, um helle Augenbrauen, Schnurrbart oder Bart zu verdunkeln, wird sich nützlich erweisen; diese Mittel werden auf Wunsch geliefert und es wird bei der Anwendung geholfen, falls nötig. Ein gefälliger Gesichtsausdruck ist zwar wünschenswert, aber noch wichtiger ist ein charakteristischer, denn nichts ist so unansehnlicher und würdeloser als ein gezwungenes Lächeln.


FRAGEN UND ANTWORTEN FÜR MENSCHEN AUS DEM 21. JAHRHUNDERT

TECHNIK & NACHHALTIGKEIT

Fotografiert mit einer Brückner Atelierkamera von 1916. Die Belichtungszeiten betragen je nach Wetter und Tageszeit zwischen 5s und 30s (ISO 2) und die Bilder sind natürlich Schwarzweiss.

Die Platten werden vor Ort entwickelt, zuschauen ist erlaubt. Die Bilder sind jeweils Unikate, können aber nach dem Trocken gescannt werden. Für das Scannen empfehlen wir Ferrografiebilder.

In der Regel arbeiten wir mit Trockenplatten im Positiv-Verfahren. Wir entwickeln und verarbeiten diese nach modernen Standards mit Rücksicht auf Ökologie und Nachhaltigkeit.

FERROGRAFIE

Bei den Ferrografie Bildern auf lackiertem Alu liegt die lichtempfindliche Schicht auf der Vorderseite, aufgrund der optischen Gesetze werden Schriften und Logos auf Jacken oder Pullovern spiegelverkehrt abgebildet. Ferrografiebilder eignen sich am besten wenn das Bild gescannt werden soll.

GLASBILDER

Der wesentliche Vorteil eines Bildes auf Klarglas ist, das die Scheibe gedreht und das Bild seitenrichtig betrachtet werden kann. Die positiv entwickelte Lichtempfindliche Schicht liegt dann auf der Rückseite des Glases. (Zur Info: Es ist aufgrund der Zugabe eines Weissmachers nicht wirklich möglich von positiv entwickelten Glasbildern klassische Fotoabzüge zu belichten.) 

FARBVERSCHIEBUNG

Die verwendeten Fotoplatten sind, typisch für die Fotografie des 19. Jahrhunderts, blauempfindlich respektive Farbenblind. Es kommt zu einer Verschiebung der Helligkeit des Bildes. Das heißt auf eine weiße Reflexion (z. Zähne, oder Augenweiß) reagiert die Fotochemie mit Überstrahlung (der sogenannten Solarisation). Blaues wird heller abgebildet und bei allen rotfarbigen Elementen reagiert die Fotochemie gar nicht und wird somit nicht abgebildet, was die Entwicklung der Platten bei Rotlicht möglich macht. 

BEI MODERNER KLEIDUNG BEACHTEN

Farbchart eines Farbblinden Fotoemulsion. Rottöne bleiben schwarz, während Helle Töne überbetont werden.

Achten sie darauf, dass sie möglichst wenig reines Weiß tragen, besonders wenn sie dieses mit modernem Waschmittel mit optischen Aufhellern waschen, dies reflektiert UV-Licht stärker und führt zu einer Solarisation (Überbelichtung) auf der Fotoplatte. Jeansstoff wird wesentlich heller abgebildet. Rote Farben werden schwarz. Da Schwarz eine Mischfarbe ist, muss es nicht zwangsläufig am dunkelsten wirken. 

LOGOS UND SCHRIFTEN AUF KLEIDERN

Bitte beachten sie, dass je nach gewählter Bildart Logos oder Texte spiegelverkehrt abgebildet werden

WERDEN REQUISITEN ODER KLEIDUNG ZUR VERFÜGUNG GESTELLT

Natürlich stehen adequate Sitzgelegenheiten und Räumlichkeiten zur Verfügung. Das Bereitstellen von Kostümen übersteigt aufgrund der Vielfalt die Kapazitäten. Wenden sie sich an einen Kostümverleiher. 

Atelier- und Fotografiestil entsprechen der Jahrhundertwende (1890-1914).

MAKE-UP UND HAUTTÖNE

Make-up enthält heute einen UV-Schutz, welcher das Sonnenlicht reflektiert, die Fotochemie des 19. Jahrhunderts bildet diese Gesichter heller ab als die Gesichter von Personen, welche kein Make-up tragen. Entweder auf Make-up verzichten oder kurz vor der Aufnahme die Gesichter aller anderen Personen mit Sonnencreme eincremen.

Die Sonnencreme ist auch hilfreich, wenn Personen kürzlich einen Sonnenbrand hatten, an Hautkrankheiten wie Rosazea oder weißem Hautkrebs leiden (tatsächlich wird diese Art der Fotografie mit UV-Lichtanteil in der Med. Diagnose angewendet.)

Die meisten Tattoos basieren auf blauer-schwarzer Tinte, welche in der Regel nur schwach bis gar nicht abgebildet werden.

LACHEN UND ZÄHNE

Zähne werden generell heller abgebildet, heute erst recht, weil die heutigen Zahnhygieneprodukte alle Weißmacher enthalten, durch das UV-Lichtbereich stärker reflektiert, es kommt zu einem Schwarzlicht-Discoeffekt. Die Fotochemie bildet Zähne unnatürlich stark ab. 

Also Bitte recht Ernst, weltmännisch oder damenhaft, Kinder bitte Brav und niedlich!

BRILLEN MIT UV-SCHUTZGLÄSERN /SELBSTTÖNENDE BRILLEN

Die Fotochemie des 19. Jahrhunderts ist UV-lichtempfindlich, deshalb kann sie nicht aufzeichnen, was sich hinter UV-Schutzgläsern befindet. Die Gläser werden schwarz erscheinen.

KINDER UND DAS STILLSITZEN

Bei den langen Belichtungszeiten kann es vorkommen, dass Kinder nicht lange stillsitzen wollen. Für eine gelingende Fotografie ist es dennoch notwendig, einige Sekunden die Position zu halten. Überlassen sie die Anweisungen dem Fotografen, je nach Charakter gibt es da Tricks, denken sie einfach dran: Bitte recht Ernst zu bleiben.

KÖNNEN SPEZIELLE IDEEN ODER WÜNSCHE BERÜCKSICHTIG WERDEN?

Wir wollen möglichst nahe am klassischen Aufnahmemodus bleiben. In der Regel sind die angeboteten Bitte recht Ernst Fotoevents als didaktisches Museumsprogramm und nicht als Fotoauftrag zu sehen. Natürlich dürfen Sie sich einbringen, jedoch sollte es im realisierbaren Rahmen bleiben.

In diesem Sinne bleiben sie Bitte recht Ernst