Atkins vs. Atkyns

Mrs. John Atkins / Mrs. John Atkyns

Die Geschichte der Zuschreibung und die Korrektur von Autorinnennamen ist mehr als eine bibliografische Feinheit – sie berührt das Fundament, wie wir Kulturgeschichte lesen und verstehen. Mein aktuelles Projekt Mrs. John Atkins / Mrs. John Atkyns setzt genau hier an. Über Jahrzehnte, ja sogar über ein Jahrhundert hinweg, wurden literarische Werke fälschlich einer Person zugeschrieben, die mit ihnen nichts zu tun hatte. So entstanden Überlagerungen von Namen, Rollenbildern und Identitäten, die das Bild der beteiligten Frauen bis heute prägen.

Im Zentrum steht die Verwechslung zwischen Mrs. John Atkins und Mrs. John Atkyns von 1908. Was auf den ersten Blick wie ein kleiner orthografischer Unterschied wirkt – ein „i“ statt eines „y“ – entfaltet in der Tiefe ein weitreichendes Missverständnis. Während Clarinda Atkyns (1797–1865), aufgewachsen im Umfeld von Lord Byron und Mary Shelley, und mit Thomas Love Peacock lebenslang befreundet, tatsächlich die Autorin mehrerer Romane war, darunter Murder Will Out (1859), taucht in Katalogen, Bibliotheken und Sekundärliteratur immer wieder der Name „Atkins“ auf. Diese falsche Schreibweise führte zu Verbindungen mit Anna Atkins (1799–1871), der Pionierin der botanischen Fotografie. So entstand ein Spiegelbild: Zwei unterschiedliche Frauen wurden über eine orthografische Nähe miteinander verschmolzen, bis hin zur Annahme, die Fotografin habe zugleich als Romanautorin gewirkt.

Diese Zuschreibung blieb nicht neutral. Kaum eine Person der Fotogeschichte ist heute so sehr von revisionistischen Narrativen umgeben wie Anna Atkins – seien diese monetär motiviert, feministisch überformt oder schlicht das unreflektierte Nachplappern frei erfundener Behauptungen und esoterischer Wunschprojektionen. Im 20. Jahrhundert wurde sie zunehmend zur Lichtgestalt stilisiert, als Ikone weiblicher Kreativität, scheinbar losgelöst von ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen. Dabei geriet in Vergessenheit, dass Atkins weder die „erste Fotografin der Welt“ war, noch ihr Lebenswerk in der sogenannten „blauen Ecke“ der oft wiederholten Cyanotypien aufgeht. Ihr Zugang zu wissenschaftlichen Kreisen und akademischen Institutionen beruhte bereits vor ihrer Ehe auf den Positionen und Netzwerken ihres Vaters John George Children. Mit der Ehe zu John Pelly Atkins, dessen Familie durch Plantagen- und Sklavenbesitz in Jamaika und Bermuda zu Vermögen gelangt war, kam eine weitere ökonomische Grundlage hinzu, die zugleich den Rahmen und die Sicherheit für ihre fotografischen und publizistischen Projekte bot.

Auch Clarinda Atkyns (geborene Knowles, 1797–1865) ist ohne ihre Ehe nicht zu verstehen. Durch ihre Verbindung mit John Atkyns, einem Vikar, war sie in ein anderes gesellschaftliches Umfeld eingebunden: weniger wohlhabend, aber stärker mit den moralischen und sozialen Fragen des viktorianischen Alltags konfrontiert. Diese Erfahrung prägte ihre Romane, die explizit gesellschaftliche Spannungen und die Lebenswirklichkeit einer breiteren Schicht verhandelten. Ihre Stimme war geprägt von kritischer Aufmerksamkeit und sozialem Engagement – ein deutlicher Gegenpol zu Anna Atkins, die trotz ihrer späteren Idealisierung eng mit den kolonialen und sozialen Machtstrukturen des viktorianischen England verflochten war.

Mein Projekt versteht sich als Korrektiv. Es geht darum, die verschobenen Spiegelbilder neu auszurichten und beide Frauen in ihrer Eigenständigkeit sichtbar zu machen. Mit der Veröffentlichung von Clarinda Atkyns’ Romanen in deutscher Übersetzung wird dieser Prozess konkret. Werke wie Murder Will Out. A Story of Real Life oder The Perils of Fashion erscheinen erstmals unter ihrem wahren Namen. Parallel wird die biografische und literarische Leistung von Anna Atkins wieder klar auf das Feld der Fotografie und naturwissenschaftlich-botanischen Illustration zurückgeführt.

Das Covermotiv des Projektes – zwei Frauen in viktorianischer Kleidung, spiegelbildlich nebeneinander gestellt – visualisiert diese doppelte Zuschreibung. Es verweist auf das lange Unbehagen in der Literaturgeschichte, wenn weibliche Autorenschaft hinter Gattungs- oder Ehenamen verschwand. „Mrs. John“ ist nicht die Bezeichnung einer einzelnen Frau, sondern Ausdruck einer gesellschaftlichen Struktur, in der Frauen über den Namen ihres Ehemannes in Erscheinung traten. Dieses Muster hat die Sichtbarkeit und Anerkennung weiblicher Stimmen in Kunst und Wissenschaft nachhaltig beeinflusst.

Mrs. John: Atkins / Atkyns will dazu beitragen, diese Verschiebungen transparent zu machen. Die erste geplante Publikation, die am 26. September 2025 erscheint, markiert einen wichtigen Schritt: Nicht nur, weil die Werke von Clarinda Atkyns neu zugänglich gemacht werden, sondern auch, weil die Diskussion um Autorschaft, Identität und Gender darin eine gegenwärtige Dimension erhält.

Das Projekt ist somit mehr als eine literarische Edition. Es ist ein Forschungs- und Aufklärungsprozess, der Archive, Bibliotheken, Datenbanken und öffentliche Wahrnehmung miteinander verschränkt, aber auch klassische Wahrheiten wie gedruckte Lexika in Frage stellt. Die „Spiegelung“ im Titel verweist auf die Doppelung von Identität, die über Jahrzehnte tradiert wurde, und auf die notwendige Arbeit, diese Spiegelungen zu brechen.

So entsteht ein Raum, in dem übersehene Lebenswerke neu Gestalt gewinnen – klar, aufrichtig und eigenständig, und in ihrer kulturellen Bedeutung als Teil einer gerechteren und differenzierteren Geschichtsschreibung erfahrbar.